Adharanand Finn: „Der Körper wird wehtun“

LITERATUR. Der Läufer und Journalist Adharanand Finn hat in seinem Buch „Der Aufstieg der Ultra-Läufer“ in einer Art Selbst-Experiment versucht herauszufinden, was Menschen an den Ultradistanzen fasziniert. Seine Recherche führte in auf die anspruchsvollsten und bekanntesten Ultratrails der Welt. Wir haben uns mit dem Amerikaner über das (sehr) lange Laufen unterhalten.

Herr Finn, es gibt im Englischen einen Spruch, der geht so: It takes a special kind of idiot to run a 100 miles (etwas holprig übersetzt: Es braucht einen besondere Art eines Idioten, um 100 Meilen zu laufen). Nachdem Sie selbst eine Vielzahl an Ultras gelaufen sind und ein erfolgreiches Buch darüber geschrieben haben, würden Sie dem zustimmen?

Es benötigt keinen Idioten, nein, aber vielleicht einen bestimmten Typus Mensch. Es verlangt mit Sicherheit viel Willensstärke. Das ist in vielerlei Hinsicht wichtiger als Fitness oder Laufkönnen. Es wird der Punkt in einem 100 Meilen-Lauf kommen, an dem man nicht nur stoppen will, sondern davon überzeugt ist stoppen zu müssen. Dann kommt es sehr auf die mentale Stärke an, weiterzumachen. Gut, es gibt Leute, die sagen, dass das idiotisch ist, aber ich bin anderer Meinung. Die Erfahrung etwas durchzustehen, die eigenen oft verborgenen Stärken zu entdecken, ist erfüllend und ein wundervolles Erlebnis von dem wir alle profitieren können.

Als ein Läufer, der alle möglichen Rennformate und Distanzen gelaufen ist, was würden Sie als qualvoller bezeichnen: einen Vollgas-5 Kilometer-Lauf oder einen 80 Kilometer Ultratrail?
Die beiden sind sehr unterschiedlich. Was auf jeden Fall nicht stimmt, ist, dass je weiter man läuft, es immer qualvoller wird. Aber zugeben, der Schmerz dauert bei dem Ultratrail doch länger. Bei eine 5 Kilometer-Lauf weiß ich die Strapazen werden schnell vorüber sein, von daher ist es leichter zu ertragen.

In Ihrem Buch treffen Sie auf viele Mitläufer*innen und tauchen in die Ultra-Szene ein. Wie würden Sie eine*n typischen Ultraläufer*in charakterisieren?
Ich würde generell sagen, dass Ultra- und Trailläufer*innen allgemein Dinge wie Tempo und Zeiten nicht so Ernst nehmen und mehr an dem Abenteuer und der Landschaft interessiert sind. Sie können natürlich trotzdem ehrgeizig sein, aber über eine Distanz von 100 Meilen werden aus sportlichen Gegner*innen auch schnell gleichgesinnte Lauffreund*innen. Man spürt auf diesen Distanzen eine starke Verbindung zueinander. Gerade auch weil viele Rennen durch die Nacht gehen und mehrere Tage andauern, schließt man leicht Freundschaften, was das Gefühl Teil einer Gemeinschaft zu sein stärkt. Am Tag nach einem Ultra genießen alle Finisher dasselbe Maß an Respekt, egal wie schnell man war. Von daher könnte man vielleicht sagen, dass diese Sorte Läufer*in ein kleines bisschen entspannter unterwegs ist.

Was sind die drei wichtigsten Lektionen, die Sie durch die Ultras gelernt haben?
Die erste ist im Moment zu bleiben. Das ist der Schlüssel fürs Ultralaufen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Ich musste mich erst von meiner GPS-Uhr trennen und aufhören über Zeit und Distanz nachzudenken, um mich auf den gegenwärtigen Moment fokussieren zu können. Das ist auch eine gute Lektion fürs Leben, übrigens. Die zweite Lektion ist die, dass man normalerweise mehr Energiereserven hat, als man glaubt. Das Gehirn versucht einen zu schützen, in dem es uns einreden will, dass wir müde sind und anhalten sollten. In einem Ultra kann man viel mehr durchstehen und aushalten, als man für möglich hält. Und hinterher geht es einem plötzlich wieder gut. Das lernt man nur mit etwas Erfahrung, aber es stimmt. Drittens muss man seine Emotionen im Griff haben, auch wenn man sich gut fühlt. In einem Ultra wird man sich mal furchtbar und mal fantastisch fühlen. Der Trick ist sich weder vom einen, noch vom anderen treiben zu lassen, sondern ruhig zu bleiben, konstant zu laufen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zu viel Euphorie kann ein Rennen durchaus kaputtmachen, wenn man dann die Nerven verliert und zu viel Gas gibt. Glauben Sie mir, ist mir schon passiert.

Sie berichten auch von Verletzungen. Ist Ultralaufen gesund?
Nicht wirklich. Der Körper wird wehtun, die Zehennägel werden schwarz, man isst unterwegs tonnenweise Zucker. Aber im Ernst, es könnte dank der niedrigen Intensität und dem natürlichen Untergrund sogar gesünder als ein Straßenmarathon-Training sein. Vorausgesetzt man übertreibt es nicht. Und es ist mit Sicherheit besser, als auf dem Sofa zu sitzen und gar nichts zu tun. Wer ausschließlich für seine Gesundheit laufen möchte, für denjenigen mag Ultralaufen zu viel sein. Ultraläfer*innen betreiben diesen Sport vor allem, um Abenteuer zu erleben, um ihr Leben mit einzigartigen Erlebnissen zu bereichern und sich körperlich zu fordern. Nicht der Gesundheit wegen.

Gibt es einen Ultra-Moment, den Sie besonders wertschätzen?
Ja, als ich bei Sonnenuntergang auf dem Gipfel eines Berges in den französischen Pyrenäen stand und schon längst im Ziel am Meer sein wollte. Es war verrückt, denn es war noch ein langer, langer Weg. Ich hatte einen kleinen Anflug von Panik. Aber dann war der Sonnenuntergang so spektakulär, dass ich stehen blieb, den Anblick genoss und mich einfach glücklich fühlte diesen Moment erleben zu dürfen.

Was steht bei Ihnen als nächstes an?
Ich weiß es noch gar nicht. Ich würde gerne noch mal meine Marathon-Bestzeit von derzeit 2:50 Stunden unterbieten. Und ich würde gerne irgendwo einen langen Trail laufen, allerdings nicht als Rennen, sondern als Abenteuer mit Freunden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Beitrag ist erschienen in der LAUFZEIT 2/20.

INTERVIEW: Christian Bruneß
FOTOS: CANOFOTOSPORTS (Lauffoto Lavaredo Ultratrail 2018), Marietta d’Erlanger (Portait)